Pflege, Kinderbetreuung, Haushaltsarbeit – all das zählt zur Care-Arbeit, und doch wird sie oft als selbstverständlich angesehen. Ein Großteil dieser Arbeit wird von Frauen geleistet, häufig unbezahlt oder schlecht entlohnt. Genau darauf macht der Equal Care Day aufmerksam: Er fordert mehr Anerkennung, eine gerechtere Verteilung und bessere Rahmenbedingungen für all jene, die sich um andere kümmern.
Eine, die sich seit vielen Jahren für die Rechte pflegender Angehöriger einsetzt, ist Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen, die Care-Arbeit mit sich bringt, und darüber, was sich dringend ändern muss.

- Liebe Birgit Meinhard-Schiebel, der Equal Care Day macht auf die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit aufmerksam. Welche strukturellen Probleme sehen Sie hier besonders für pflegende Angehörige?
Wir stehen nach wie vor in einem traditionellen Rollenverständnis, in dem Frauen für die Sorgearbeit zuständig sind. Daran entlang ist auch die Struktur aufgebaut, wie die Kinderbetreuung, die Haushaltsarbeit, die Pflegearbeit für den gesamten Familienverband. Selbstverständlich ist auch die Angehörigenpflege eindeutig den Frauen zugeordnet, die sie auch dann übernehmen, wenn sie selbst noch im Erwerbsleben stehen, so als ob es keine andere Möglichkeit geben würde.
- Pflegearbeit wird oft als private Angelegenheit betrachtet und bleibt damit unsichtbar. Was müsste sich gesellschaftlich ändern, damit diese Arbeit mehr Anerkennung und Unterstützung erfährt?
Wenn man tatsächlich eine Änderung erreichen will, muss man sozusagen bei der Geburt beginnen, dort, wo Erziehungsarbeit beginnt. Immer noch und seit vielen Jahren predigen wir, dass Mädchen und Buben gleichberechtigt erzogen werden müssen. Aber Wirtschaft und Gesellschaft spielen dabei nicht mit und verhindern oft damit eine Änderung. Die feministischen Bewegungen der 70- und 80er-Jahre haben versucht, diese Rolle der „Familienarbeit“ zu verändern und sie auf alle Schultern in der Familie oder Gemeinschaft des Zusammenlebens zu verteilen. Meiner Meinung nach sind in der Zwischenzeit viele Fortschritte aus diesen Jahren wieder zurückgedrängt worden. Die neuesten Entwicklungen fördern sogar noch deutlicher, dass Frauen möglichst aus dem Erwerbsleben hinausgedrängt werden und alleine für die Familie und Sorgearbeit zuständig sein sollen. Ein Backlash, der besorgt macht.

- Viele pflegende Angehörige sind Frauen, oft neben ihrer Erwerbsarbeit. Wie können Arbeitgeber:innen und Unternehmen dazu beitragen, dass Erwerbsarbeit und Pflege besser vereinbar sind?
Der Trend der letzten Jahre zeigt deutlich, dass immer mehr Frauen in die Teilzeitarbeit gehen, um die Mehrfachbelastungen von Erwerbstätigkeit mit der Sorgearbeit in Einklang bringen zu können. Damit wird es aber auch schwieriger, in Betrieben durch Information und Gewerkschaftsarbeit Modelle zu entwickeln, die Frauen im Erwerbsleben stärken. Immer öfter wenden sich Firmen aber auch an uns, um in einer Veranstaltung ihre Mitarbeiterinnen über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren, um sie nicht wegen der Sorgearbeit als Arbeitskräfte ganz zu verlieren. Ein guter Ansatz, der sich aber gerade bei Teilzeitmodellen schwieriger umsetzen lässt.
- Was würden Sie Menschen raten, die plötzlich in die Situation kommen, einen Angehörigen pflegen zu müssen? Welche ersten Schritte sind wichtig?
Zuallererst brauchen die Betroffenen rasche Information über Möglichkeiten der Unterstützung, das beginnt bei dem Wissen über das Recht auf Pflegefreistellung, dann zur Pflegekarenz – für die wir immer noch den vollen Rechtsanspruch für alle drei Monate fordern – bis hin zu einem guten Case- und Caremanagement, das aber nachhaltig sein muss und nicht nur für den Start der Pflegeübernahme. Die Community Nurses waren ein besonders wichtiges Modell und sollten unbedingt weitergeführt werden. Sie konnten gemeinsam mit den pflegenden Angehörigen durch ihre Professionalität auch verhindern, dass die pflegenden Angehörigen sich völlig überfordern.
- Sie setzen sich seit vielen Jahren für pflegende Angehörige ein. Gibt es ein besonderes Erlebnis oder eine Begegnung, die Ihnen zeigt, wie dringend sich in diesem Bereich etwas ändern muss?
Nicht nur eines, sondern viele. Immer wieder erlebe ich, dass pflegende Angehörige oft plötzlich aus dem Umfeld verschwinden, weil sie daheim bei den pflegebedürftigen Angehörigen sind und ihr eigenes Leben nicht mehr leben können. Ich höre so oft in den Gesprächen auch in meinem privaten Umfeld, wie sehr gerade die Angehörigenpflege eine enorme Belastung darstellt. Es gibt keinen geregelten Arbeitstag mit Anfang und Ende, keinen Urlaub, keinen Krankenstand und selbst im Urlaub bleiben die Gedanken an die pflegebedürftige Person dort, wo sie gerade nicht sind. Man kann die Gedanken daran nicht einfach mit einem Schalter im Kopf abdrehen. Es ist ein Dauerstress. Solange Angehörigenpflege eine Selbstverständlichkeit ist, wird sich daran nicht grundlegend etwas ändern. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass es anders gehen würde. Aber wir sind in Österreich…

- Wenn Sie für einen Tag politische Entscheidungsgewalt hätten – welche Maßnahme würden Sie als Erstes umsetzen?
Ich würde sofort alle Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige, die vom Bund zur Verfügung gestellt werden, ab der Pflegestufe 1 für pflegende Angehörige freigeben, denn bisher sind sie fast ausschließlich an die Pflegestufe 3 gebunden. Das so wichtige Angehörigengespräch zeigt, wie dringend notwendig es ist, dass es Unterstützungsangebote gibt, die nicht an eine Pflegestufe gebunden sind.
Über Birgit Meinhard-Schiebel:
Birgit Meinhard-Schiebel ist Schauspielerin, Erwachsenenbildnerin und Sozialmanagerin. Seit 2010 ist sie ehrenamtliche Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger.
Sie ist Mitglied des Koordinationsteams Demenzstrategie Österreich und des Steuerungsteams Demenzfreundliches Wien, Mitglied des Obersten Sanitätsrates, Mitglied der AG Pflegevorsorge des Sozialministeriums und Vizepräsidentin des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen.