Mit Herz und Humor – Teil 1

Weihnachten als pflegender Angehöriger. Alles Clara Berater Fred teilt seine persönlichen Erfahrungen.

Fred ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Berater bei Alles Clara. Im Interview gibt er Einblicke in seine persönliche Vergangenheit, in der er seine schwerkranke Frau gepflegt hat. Er erzählt von den Herausforderungen zur Weihnachtszeit und zeigt auf, warum für ihn Humor einer der wichtigsten Bewältigungsmechanismen in dieser Zeit war.

Fred ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Berater bei Alles Clara.

Könntest du uns von deinen persönlichen Erfahrungen als pflegender Angehöriger erzählen – und welche besonderen Herausforderungen du während der Weihnachtszeit erlebt hast?

Die Erinnerung an Weihnachten ist daran gebunden, die Feiertage als ein Fest der Freude, des Neuanfangs, der Hoffnung zu zelebrieren. Die Hoffnung auf Genesung und Heilung war es, die den Festlichkeiten im Dezember Priorität verlieh – jene fundamentale Hoffnung, die zum Leben gehört.

Dazu kam, sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen zu dürfen, in einem Wort: auf der Welt zu sein, um sich um andere und auch um sich selbst zu kümmern, miteinander auf diese Weise verbunden zu sein. Vielleicht ist Weihnachten ein besonderes Fest des Mitfühlens und Sich-Bewusst-Werdens, dass Menschsein auch immer bedeutet, miteinander zu kooperieren, sich umeinander zu kümmern.

Deshalb versuchte ich, dieses Füreinander zu transformieren: Vermittler zu sein zwischen der Welt der Krankheit mit ihren eigenen Gesetzen – und jener der Gesunden. Bei unserem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest war es bereits abzusehen, dass die Zeit des Miteinanders begrenzt sein wird – was das schmerzhafte Bewusstwerden jener antizipierten Einsamkeit wachrief, von der viele pflegende Angehörige zu berichten wissen. Unausweichliches, die gedankliche Vorwegnahme einer unumgänglichen Zukunft, schaffte Sensibilisierung für Gegenwärtiges.

Petra und ich kommunizierten intensiv mit Menschen, die wir liebten, und wir wussten fast schlafwandlerisch, die elementaren Tatsachen des Lebens zu schätzen. Es war ein Weckruf. „Nur angesichts des Todes wird das Selbst des Menschen geboren“, schreibt Augustinus.

Es war kein missverstandenes Fest mit inszeniertem Nebeneinander und Konsumdiktat, vielmehr: stilles Horchen, Da- und Beieinandersitzen, in die Ofenflammen schauen. Es war wechselseitiges Zeit- und Aufmerksamkeitsschenken. Wortloses Sagen.

Stilles Horchen, Da- und Beieinandersitzen, in die Ofenflammen schauen. Es war wechselseitiges Zeit- und Aufmerksamkeitsschenken. Wortloses Sagen.

Welche Strategien hast du entwickelt, um in der Pflege und Betreuung deiner Frau während der Feiertage eine Balance zwischen Erwartungen, Planung, Pflege und Selbstfürsorge zu finden?

Mein Vorteil war es und ist, dass ich niedrige Erwartungen an das Leben hege – was mich freier und flexibler reagieren ließ und lässt. Ich bemerkte, dass unsere Lebensfreude und Lebensqualität oft an die Erfüllung – oder Nichterfüllung – von Erwartungen gebunden waren. Leiden wir bisweilen darunter, weil wir etwas haben, das wir nicht wollen, oder wollen wir etwas, was wir noch nicht haben?

Hat man keine Wahl, muss man versuchen, mit den Möglichkeiten, die einem bleiben, zurechtzukommen. Was daraus schließlich entstand, war radikale Akzeptanz sowie eine andere Art, mich um das Leben zu kümmern, vielleicht sogar eine neue Grundlage unseres Zusammenlebens.

Zwei der wesentlichen Fragen dieser Zeit waren:

  • Wie verteilt man seine Energie auf einen Zeitabschnitt, von dem niemand wissen kann, wie lange dieser dauern wird?
  • Was benötigt man auf der Fahrt durchs Leben: Rückspiegel, Fernrohr, Lupe?

Wie in vielen anderen Zusammenhängen gibt es einem Kraft und Zuversicht, sich als ein Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Vernetzung und regelmäßiger Austausch halfen und helfen, Herausforderungen zu planen und zu bewältigen. Der überwiegende Teil der Menschen mit Pflegebedarf wird zu Hause von direkten Angehörigen versorgt. Diesen fehlt jedoch oft der regelmäßige Austausch über ihren Pflegealltag hinweg, die damit verbundenen Herausforderungen: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Herausforderungen in dem Sinn, persönliche Grenzen tagtäglich zu überschreiten – seelisch, emotional, sozial.

Mein eigenes Netzwerk war (und ist) gerade während der Weihnachtszeit gut verfügbar, und ich fand nicht nur einen feinen Austausch, sondern konnte immer wieder meine Rolle als pflegender Angehöriger delegieren, mir kleine Auszeiten verschaffen.

Die rettende Instanz, der heilsame Ausweg? Humor. Oft in Form fröhlicher Resignation, die zwar „Wirklichkeit“ nicht veränderte, aber dabei half, besser mit der Situation umzugehen. Man lächelt durch Tränen hindurch, was eine milde Form der Selbstdistanziertheit bewirkt, die der Bedrängnis das Erdrückende nimmt. „Es gibt kaum etwas im menschlichen Dasein, das dem Menschen so sehr und in einem solchen Ausmaß ermöglicht, Distanz zu gewinnen, wie der Humor“, notierte Viktor Frankl.

Was benötigt man auf der Fahrt durchs Leben: Rückspiegel, Fernrohr, Lupe?

Was macht die Weihnachtszeit deiner Meinung nach so besonders herausfordernd?

Weihnachten mit schwer kranken Menschen zu begehen, macht die gemeinsame Zeit kostbar, da immer der Hauch von Endlichkeit mitschwingt. Es existiert einerseits gewissermaßen das Leben mit seinen Ansprüchen und Erwartungen, andererseits gilt es, die gegenwärtigen Herausforderungen des „neuen“ Lebens und dessen eingeschränktes Erleben zu bewältigen. „Je größer das ungelebte Leben, desto größer die Verzweiflung“, ist bei Irvin Yalom, dem US-amerikanischen Psychoanalytiker, nachzulesen.

Man lernt zu schenken, ohne Erwartungen daran zu knüpfen. Viele Leben sind regelrecht kontaminiert von Ängsten, Verfall, Verminderung – trotzdem entsteht in dieser äußeren Welt des Mangels eine Fülle im Inneren. Es sind Übungen im Gegenwärtig-Sein, die Aufgabe, unser Dasein als Aneinanderreihung von Augenblicken zu begreifen, die wir mit Genuss und Sinn füllen können. Dazu das aufkeimende Bewusstsein, die Betroffenheit, einer von vielen zu sein. Das Bild vom fahrenden Zug bietet sich an – es ist schwer bis unmöglich, neutrale Haltung zu bewahren. Wir treffen täglich eine Wahl. Durch unser Tun, durch unser Unterlassen.

Das Bild vom fahrenden Zug bietet sich an – es ist schwer bis unmöglich, neutrale Haltung zu bewahren.

Welche besonderen Traditionen oder Aktivitäten hast du eingeführt, um die Weihnachtszeit für dich und deine Frau besonders angenehm zu gestalten?

Oft erriet ich, dank meiner beruflichen Erfahrung, ihre Ohnmacht, ihre Sorgen, was ihre Krankheit betraf, bevor sie diese explizit ausdrücken musste. Der Verzweiflung und Ohnmacht zu begegnen, das bedeutete in dieser Zeit eine immense Herausforderung. Rituale – definiert als Abläufe, die nicht eigens erklärt werden mussten, sondern einfach vollzogen wurden – waren mächtige Wirkfaktoren, die Flüchtigkeit und Unberechenbarkeit des Gefühlslebens zu strukturieren. Besondere Aktivitäten: gemeinsames Kochen und Essen, lange Waldspaziergänge mit dem Hund.

Besondere Aktivitäten: gemeinsames Kochen und Essen, lange Waldspaziergänge mit dem Hund.

Das ist die erste Hälfte des bewegenden Interviews mit Fred.
Den zweiten Teil kannst du hier lesen.

Weitere Geschichten die dich interessieren könnten:

Weihnachten als pflegender Angehöriger. Alles Clara Berater Fred teilt seine persönlichen Erfahrungen.
Einfühlsame Tipps für den Umgang mit Demenzkranken
Wie man Weihnachten gemeinsam genießen kann

Jedes Monat neu:

Der Alles Clara Newsletter!