Fred ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Berater bei Alles Clara. Im zweiten Teil des Interviews (Teil 1 findest du hier) spricht Fred über Selbstfürsorge und seine „Helfer“. Er erläutert, wie sich seine Beziehung gewandelt hat und betont die Relevanz von ehrlichen Gesprächen.
Fred ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Berater bei Alles Clara.
Welche Unterstützung hast du selbst in Anspruch genommen, um in dieser herausfordernden Zeit für deine Frau da zu sein und gleichzeitig für dich selbst zu sorgen?
Die radikale Großzügigkeit meiner Familie und vieler anderer Menschen um mich herum ließ mich leichter sein, freier durchatmen. Statt mit vielen Menschen wenig zu reden, unterhielt ich mich lieber mit wenigen, in intimem Rahmen. Mit ihnen konnte ich offen sprechen, war aber zugleich nicht dazu gezwungen. Ich konnte reden, ohne sogleich vertröstet oder getröstet zu werden – der wahre Trost lag darin, gemeinsam die Herausforderung auszuhalten.
Oft durfte ich seitdem erfahren, welch wunderbarer Weg eingeschlagen wird, wenn über jene Dinge, die einen beschäftigen oder belasten, Dialog herrscht. Verdrängung kommt, immer wieder aufs Neue, dem vergeblichen Versuch gleich, luftgefüllte Ballons unter Wasser drücken zu wollen. Anstrengend, funktioniert nicht!
Der Mensch, schreibt die US-Autorin Joan Didion, ist ein „erzählendes Tier“. Durch diesen Austausch wird uns einerseits die Angst genommen und andererseits komme ich vielleicht in eine echte Begegnung mit meinem Gegenüber. Wir erzählen Geschichten, fasst die Autorin zusammen, um zu überleben.
Meine Helfer, neben vielen Menschen:
- Musik: Bachs Goldberg-Variationen, ständig in meinen Ohren
- Unser Hund: Er entschlüsselte Emotionen, die sich nicht in Worte ausdrücken lassen
- Der Wald: Das Grün verkörperte einerseits die Kontinuität der Natur, andererseits: Tiere und Pflanzen sind da, ohne zu bewerten
- Bücher: Worte haben ungeheure Macht. Sie erlauben das „Einfühlen“ in andere Innenwelten
- Tagebuch schreiben: Angehaltenes Reden mit sich selbst, Selbstgespräche auf Papier festgehalten, jetzt und später nachlesbar
- Gehen: Fuß fassen! Solange man geht, geht noch etwas. Die Bewegung des Körpers animiert die Bewegung der Gedanken
- Gedichte: Geben Kraft und Hoffnung, sie helfen, Sprachlosigkeit zu überwinden, Gefühle in Bilder zu fassen, die wir nicht ausdrücken können
- Kunst: Insbesondere (erzählende) Kunst hilft uns, über uns selbst klar zu werden, unsere Rolle im Spiel des Lebens zu erahnen.
Oft durfte ich seitdem erfahren, welch wunderbarer Weg eingeschlagen wird, wenn über jene Dinge, die einen beschäftigen oder belasten, Dialog herrscht.
Wie kannst du aus deiner eigenen Erfahrung als pflegender Angehöriger anderen in ähnlichen Situationen Mut machen und hilfreiche Ratschläge geben?
Zunächst sollten Angehörige klären, ob sie Pflegebedürftigen beistehen wollen und welche Hilfe sie anbieten können.
Positive, wärmende Beziehungen kultivieren und dabei herausfinden, wer oder was in der Welt gut für einen ist. Rufen Sie sich täglich in Erinnerung, wofür Sie dankbar sind. Dankbarkeit ist nicht allein die logische Fortführung von Hingabe, sondern ein absolut angemessenes Lebensgefühl, das sich nicht anderswo, an unbekannter Stelle, sondern stets im Alltäglichen findet.
Versuchen Sie ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Notieren Sie, was Sie alles an Schönem erlebt haben: Vertrauen, Hoffnung, Austausch mit anderen Menschen.
Wichtig ist auch: Man bemerkt die Bedürfnisse seines Gegenübers, hat zugleich aber auch eigene Bedürfnisse. Dies gilt es immer wieder zu verhandeln. Sich gegenseitig Halt zu geben im Durcheinander des Lebens und bei sich zu bleiben.
Dabei stößt man immer wieder an die Grenzen des Zusammenlebens. Diese Grenzen zu spüren, erzeugt Spannungen und Reibungswärme. Die Übung besteht darin, diese Anspannungen produktiv auszuleben.
Will man Halt geben, muss man sich bis zu einem gewissen Grad zurücknehmen, um das Vis-à-vis „auszuhalten“. Gemeinsames Aushalten ist aktives, wertvolles Tun. Im Halt-Geben sollte man indes nicht selbst aktiv nach Halt suchen müssen. Sonst könnte es „klebrig“ werden.
Durch die Erkrankung kam es schließlich zur Veränderung des Begehrens. Es gab schlicht kein gemeinsames Aufstehen, kein gemeinsames ins Bett Gehen mehr. Wir lebten geschwisterlich miteinander und entwickelten unsere Paarbeziehung zur Partnerschaft fort. Das war nichts und gleichzeitig alles.
Wichtig ist auch: Man bemerkt die Bedürfnisse seines Gegenübers, hat zugleich aber auch eigene Bedürfnisse. Dies gilt es immer wieder zu verhandeln. Sich gegenseitig Halt zu geben im Durcheinander des Lebens und bei sich zu bleiben.
Inwieweit hat deine berufliche Erfahrung als DGKP deine Herangehensweise an die Pflege und Betreuung deiner Frau während der Feiertage beeinflusst?
Der Alltag war aufzugeben, die Rollenverteilung in der Familie und im Freundeskreis mussten neu strukturiert, ein geschützter Arbeitsplatz beantragt werden. Immer wieder ging es dabei um Hilfsmittel, die der Bewegungseinschränkung Raum gaben, die Basales ermöglichten: duschen, selbstständig essen, die Ernährung umstellen, Begleitung, Pflegeperson finden.
Wichtig war schließlich auch, bereits frühzeitig in einen Dialog darüber zu treten, was Angst für den Betroffenen selbst „bedeutet“, damit er diese kommenden Geschehnisse vielleicht besser versteht und die Chance erlangt, damit entsprechend umzugehen.
Danke lieber Fred, für deine Offenheit und deine wertvollen Tipps und Erzählungen.